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Transkript: Der Weg eines Brandverletzten mit Paulinchen e.V

 

Veröffentlichung der Folge: Februar 2024

Ein heute erwachsener Brandverletzter berichtet, wie er nach seinem Unfall als Kind die Begleitung durch Paulinchen e.V. erlebt hat. Denn: Betroffenen selbst kann es Mut machen, Geschichten von anderen Betroffenen zu hören, bei denen der Unfall schon länger her ist. Das gleiche gilt für Eltern brandverletzter Kinder. Auch für sie ist es sicher wertvoll zu hören, dass man als „brandverletztes Kind“ im Erwachsenenalter selbstbewusst mitten im Leben stehen kann.
Schon seit 1999 sind die Eltern von Malte Mitglied bei Paulinchen e.V. – damals geschah der Unfall, der Maltes Leben verändern sollte. In dieser Zeit ist unglaublich viel passiert. Vor allem waren es zum größten Teil nur positive Erlebnisse, vom Unfall natürlich abgesehen. Aber es ist nun mal passiert und er hat das Beste daraus gemacht. Malte hat mit uns über die letzten 25 Jahre gesprochen.

Malte, es ist jetzt ziemlich genau ein Vierteljahrhundert her. Bitte erzähle uns: Was ist passiert? Wie ist es dazu gekommen? Wann war das? Wo war das? Wer war dabei?
Ich bin jetzt 36, damals war ich elf Jahre alt und ich habe mit Freunden aus der Schule und Nachbarskindern, tja, einfach gezündelt, mit Spiritus. Wir haben im Hochsommer auf einer Tischtennisplatte aus Beton Sachen angezündet, und man hat die Flammen gar nicht gesehen, sondern nur das Flimmern auf dem Boden. Und ich stand auf der einen Ecke und ein Junge auf der anderen Seite. Wir waren alle so um die zehn, elf Jahre alt, und im Hintergrund saßen noch Jugendliche, die haben geraucht und meinten halt, kipp doch mal mehr drauf. Und wie gesagt, man hat die Flammen nicht gesehen, und dann hat sich das Ganze auf einen Schlag entzündet und es hat mich getroffen. Dann hat mich erstmal mein engster Schulfreund begleitet zu meinen Eltern rüber. Die waren gar nicht zu Hause, sondern nur meine beiden Schwestern. Wobei die eine das gar nicht mitbekommen hat. Die saß im Garten und meine andere Schwester hat mich dann entgegengenommen.

Das sind ja noch quälend lange Sekunden, die da abgelaufen sind, oder?
Ja, ich selber habe gar nicht mehr so die Erinnerung an den Krankenwagen, an den Hubschrauber, und ich war dann fast drei Wochen im künstlichen Koma und bin eigentlich nach allen sehr gut gelaufenen Operationen wieder erwacht und war eigentlich so weit fit, also natürlich den Umständen entsprechend. Dass die Flammen so heftig werden könnten, war mir als Kind natürlich gar nicht bewusst, vor allem die enorme Reichweite.

Wie hast du die Zeit nach dem Unfall erlebt? Kannst du dich noch an die ganze Zeit der Nachsorge erinnern? Wie lange musstest du zur Kontrolle in die Klinik?
Erstmal die Erstversorgung, das waren fast drei Wochen künstliches Koma und danach noch eine halbe Woche Intensivstation. Bei mir verlief alles extrem gut, alles ist gut angewachsen. Danach bin ich auf die Normalstation gekommen und war dann auch nach sieben Wochen schon wieder zu Hause. Nach der Spezialklinik in Hannover war ich in einer Reha. Ich muss sagen, dass es im Kinderkrankenhaus für mich gar nicht so eine belastende oder schwere Zeit war. Ich habe das tatsächlich sehr schön in Erinnerung.
Ich bin ja schon lange ehrenamtlich tätig bei Paulinchen. Man hört das öfter, auch von den Kindern, dass eigentlich die verbrannten oder verbrühten Kinder das Krankenhaus auch als schön empfanden, weil man ja auch sehr umsorgt wird. Allerdings ist das dann natürlich noch nicht alles, die Nachsorge ist sehr umfassend. Bei mir waren es neben den Verbrennungen auch noch neuronale Schädigungen an den Armen. Dadurch hatte ich dann eine Fehlhaltung und das bedingt sich dann so miteinander, dass es dann doch zusammen mit der Kompressionskleidung, die natürlich klassisch ganz normal dazugehört, noch intensive zwei, drei Jahre waren. Einfach auch mit den ganzen Terminen und der Nachsorge.

Wann bist du dann wieder zurück in die Schule gekommen? Und wie war für dich die Rückkehr?
Bei mir war der Unfall kurz vor den großen Sommerferien der 4. Klasse. Danach bin ich in die weiterführende Schule gekommen, allerdings war ich erstmal ein Schulhalbjahr raus. Wegen der Reha im Anschluss und dann nochmal einer weiteren Behandlung im Krankenhaus bin ich dann quasi in der fünften Klasse, zweites Halbjahr, eingestiegen. Auf die Rückkehr habe ich mich sehr gefreut. Auch durch die vielen Behandlungen und Termine ist es dann natürlich schön, in so einen gewohnten Alltag zurückzukehren. Es war zwar auch viel neu für mich, allerdings wusste ich durch mein Umfeld ja schon, wer in meiner Klasse ist oder wer noch nicht.

Wie sind deine Mitschüler und auch die Lehrer mit der Situation umgegangen?
Dadurch, dass ich eine neue Klassenlehrerin bekommen habe, also die ganze Gruppe neu war, sind meine Eltern vorab ins Gespräch gegangen mit der Lehrerin. Mit der Grundschulklasse hatte ich dann auch nochmal ein Treffen nach den Sommerferien, weil die natürlich auch interessiert waren. Die hatten dann auch so eine gewisse Vorstellung im Kopf: Wie sieht das aus? Ist das irgendwie jetzt verkohlt oder …? Die konnten sich das gar nicht vorstellen. So war das Treffen ganz schön, erinnere ich mich. Ich wurde dann auch älter und die Pubertät stand an, also ging es dann auch irgendwie weiter und ich habe nach vorne geschaut.

Wie war es denn überhaupt so nach dem Unfall? Du hast die Pubertät schon angesprochen. Wie war das Älterwerden? Wie war es mit Hobbys in der Freizeit, konntest du alles wieder machen?
Ich war natürlich erstmal ziemlich mit Schule beschäftigt, da es einfach weiterging. Ich hatte dann regelmäßig, ich glaube am Anfang drei, vier Mal in der Woche Physiotherapie, vorab eine Narbenmassage und auch Ergotherapie durch die neuronalen Schädigungen. Ich hatte vorher Judo gemacht, da konnte ich natürlich mit der Haut dann erstmal nicht mehr weitermachen und danach habe ich es auch gar nicht mehr so verfolgt. Und später kam es dann gar nicht mehr wieder als Hobby. Aber dafür kamen halt andere Sachen, viel Freizeit, Freunde treffen. Das war eigentlich immer dadurch, dass ich dann auch viele Freunde um mich herum hatte, die auch irgendwie dabeigeblieben sind. In der Freizeit lief es einfach irgendwie sehr entspannt. Natürlich gab es auch mal negative Momente, aber dadurch, dass ich nicht allein war, sondern in einer Gruppe mit Freunden, war das halt für mich immer voll okay.

Gab es auch mal negative Reaktionen?
Ja, klar, das gab es natürlich auch. Wenn Ältere dann doch mal einen Spruch geworfen haben. Da habe ich mich verbal zur Wehr gesetzt. Wenn dann so eine Reaktion aus einer Gruppe herauskommt und den Spruch dann abblockt oder kontert, selber aus der Gruppe heraus mit seinen Freunden, dann war das bei mir zum Glück immer irgendwie abgefedert und gut händelbar.

Wie war die Zeit für deine Eltern, deine Geschwister? Hat sich vielleicht euer Verhältnis durch den Unfall und die Zeit danach ein bisschen verändert?
Die Zeit ist natürlich schon sehr intensiv gewesen, auch für meine Schwestern. Ich bin der Jüngste von uns dreien. Gerade für meine Schwester, die mich damals entgegengenommen hat, war es heftig. Man muss dazu sagen, ich war zu 33 % drittgradig verbrannt, das wurde transplantiert. Das geht von den Wangen über die Brust, seitlich bis zur linken Hüfte und die beiden Arme. Und das war damals natürlich eine offene Wunde. Auch für meine Eltern war das ein harter Brocken. Die waren gerade gar nicht in Bremen, wo ich lebe und wo auch damals der Unfall passiert ist, sondern die waren in Hamburg bei meiner Großmutter, die einen Schlaganfall hatte. Und es war noch zu Zeiten, da gab es noch gar keine Handys. Also alles eine sehr große Belastung. Das Ganze ist heute immer noch mal ab und zu Gesprächsthema. Das hat sich schon eingeprägt bei der engsten Familie und auch bei den Freunden.

Hat sich euer Familienleben irgendwie auch verändert? Konntet ihr die gleichen Dinge machen wie vor dem Unfall?
Wir waren vorher immer in Spanien gewesen in der Zeit und das ging dann zum Beispiel nicht. Wegen der frisch verbrannten Haut war so ein Sommerurlaub im Süden natürlich nicht optimal. Wir sind dann erstmal nicht verreist. Das waren so die ersten Einschnitte, glaube ich, die ich damals gar nicht so mitbekommen habe.

Irgendwann kam ja dann der Kontakt zu Paulinchen e.V. Wer hat den Kontakt damals aufgenommen und wann war das?
Es müsste eine Broschüre im Kinderkrankenhaus gewesen sein, glaube ich, über die dann meine Eltern den ersten Kontakt zu Paulinchen hatten. Der Kontakt fing erst so richtig während der Reha-Klinik an, als ich zum Paulinchen-Seminar gekommen bin.

Kannst du dich erinnern, wie damals die Beratung im Paulinchen-Seminar aussah?
Ich selbst bin ja als Kind mitgefahren, war natürlich in der Kinderbetreuung, war nicht bei den Vorträgen, bin aber dann mit in die Sprechstunden gegangen, zu den einzelnen Leuten vor Ort, also zum Professor hauptsächlich. Da wurde mein Narbenbild nochmal genau angeschaut und bewertet. Und ja, da haben sich dann die Weichen gestellt. Nach dem Unfall gab es dann Regionaltreffen, wo ich auch als Kind selbst mitgefahren bin. Dann kam Paulinchen auf mich zu, ob ich mir vorstellen könnte, auch mit den Jugendlichen so ein Jugendwochenende zu veranstalten. Das war für mich gar keine Frage! So bin ich dann zum nächsten Seminar mitgefahren, um den Eltern von den frisch verletzten oder verbrühten Kindern meine Geschichte zu erzählen und auch zu zeigen, dass es sich nach dieser intensiven Zeit in den ersten ein, zwei Jahren eigentlich wieder ganz normal anfühlt und ich jetzt einen ganz normalen Alltag habe und dass seit über 20 Jahren die Verbrennung nur am Rande vorkommt.

Du hast eben gesagt, dich zu engagieren für Paulinchen, war überhaupt keine Frage. Warum nicht? Warum engagierst du dich?
Irgendwie hat sich das damals richtig angefühlt. Ich hatte nicht den Auftrag, das zu machen, und ich habe das auch nie als Arbeit angesehen, sondern es fühlte sich einfach gut an, das zu machen. Und es hat Spaß gemacht, das erste Jugendwochenende. Dann kam irgendwann die Anfrage, ob ich bei den Seminaren auch sprechen könnte oder einfach bei Scheckübergaben oder so dabei sein könnte. Das sind so die klassischen Dinge, die ich als Ehrenamt übernehmen kann. Oder jetzt hier als Interviewpartner.

Wie hat dich das Ganze sensibilisiert? Hat dein Unfall heutzutage noch Einfluss auf dich? Wenn du irgendwas siehst in der Öffentlichkeit, wo du sofort merkst: Ups, da sollte man anders drauf schauen, weil es vielleicht eben auch eine Unfallgefahr birgt.
Ja, das ist spannend. Auch bei meiner Familie und mir hat das eine Prägung gegeben. Meine Frau und meine Familie gucken da noch genauer drauf als ich. Aber ich sehe natürlich auch, wo sind Gefahren oder wo könnte man Infomaterial auslegen. Das springt mir direkt ins Auge.

Könntest du dir zum Beispiel vorstellen, als Botschafter in die Schulen zu gehen, um über das Thema aufzuklären?
Ja, im Kindergarten war es schon ein paar Mal Thema, und dann gibt es natürlich den Verweis zu mir. Das ist ganz normal, dass es auch immer mal wieder im Alltag, in Kindergärten, Schulen, bei Familien auftaucht.

Wie reagieren Menschen heute auf dein Aussehen, auf den Unfall, wenn sie hören, was dir passiert ist?
Wenn ich zurückschaue, dann merke ich, dass es in der Schule noch sehr viel präsenter war. Einfach auch dadurch, dass in der Klasse, im Klassenverbund sich was geändert hat, dass da immer mal wieder danach gefragt wurde. Aber seit ich aus der Schule raus bin, ist es eigentlich hin und wieder interessant für den einen oder anderen Kollegen, aber dann ist es nicht mehr wirklich so präsent. Aber ich freue mich dann auch, wenn jemand fragt. Teilweise gibt es Leute, die nur Small Talk machen wollen, aber wenn mehr Interesse dahinter ist, das merkt man dann schon. Das ist immer schön, und ich bin dann immer offen und spreche gerne darüber. Allerdings ist es halt wirklich in 99,9 % der Fälle im Alltag nicht mehr relevant.

So dass du nach so langer Zeit doch recht positiv zurückschauen kannst.
Also, ich wüsste nicht, wie das Leben ohne Verbrennung wäre. Es war damals mit 11 Jahren, ich lebe jetzt seit 25 Jahren mit den Verbrennungen und es ist für mich völlig normal geworden. Ich habe gar keine Einschränkungen. Zum Glück, muss man auch dazu sagen, und dadurch merke ich es eigentlich kaum, dass es mir gar nicht selbst auffällt. Im Spiegel sehe ich es nicht, und meine Familie sieht es auch nur selten in manchen Situationen.

Möchtest du Betroffenen selbst oder auch Angehörigen betroffener Kinder noch irgendwas mit auf den Weg geben?
Ein guter offener Umgang ist sehr hilfreich. Auch wenn es echt schwer fällt, einem selber, oder auch wenn man jemanden kennt im Umfeld: Einfach in einem ruhigen Moment offen und ehrlich damit umzugehen und bei Interesse oder Fragen empathisch da rangehen – ich glaube, das hilft am meisten. Oder als Betroffene oder Betroffener das Paulinchen-Seminar besuchen! Das ist mir in den letzten zehn Jahren immer wieder aufgefallen, dass viele Kinder erst nicht kommen wollen, aber danach merken, dass es total schön ist in so einer Gemeinschaft, sich einfach mal kennenzulernen, das eine oder andere für sich mitzunehmen und da gestärkt rauszugehen – das ist halt immer wieder der Fall und einfach schön zu sehen. Ja, diesen offenen Umgang mit dem Thema, das möchte ich hier gerne mitgeben.

 

Wer Malte im Audio-Interview erleben möchte, der kann das Gespräch hier oder auf allen Streamingplattformen nachhören – in unserem Paulinchen-Podcast.

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