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Podcast-Transkript: Brandverletzte Kinder brauchen besondere Behandlungen in speziellen Kliniken

 

Veröffentlichung der Folge: März 2023

Vielen ist nicht bewusst, dass Kinder auch bei Verbrennungs- und Verbrühungsunfällen spezielle Behandlungen benötigen und die Art der Behandlung ganz individuell auf sie zugeschnitten sein muss. Deshalb wollen wir hier über das Besondere bei der Behandlung brandverletzter Kinder aufklären.
Was sind die Unterschiede zwischen spezialisierten Kliniken und Zentren für schwerbrandverletzte Kinder? Wie stellt man eine Versorgung in der richtigen Klinik sicher? Diese und zahlreiche weitere Fragen werden mit Hilfe von Dr. Mechthild Sinnig beantwortet. Sie ist Oberärztin der Kinderchirurgie und ärztliche Leiterin des Zentrums für schwerbrandverletzte Kinder im Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult in Hannover.

Frau Dr. Sinnig, Sie haben sich auf die Behandlung brandverletzter Kinder spezialisiert. Wie sind Sie dazu gekommen?
Zum einen natürlich, weil unser Kinderkrankenhaus ein Zentrum für schwerbrandverletzte Kinder ist, und zwar das einzige in Niedersachsen. Mit meinem ersten Arbeitstag wurde ich mit schwerbrandverletzten Kindern konfrontiert. Ich habe es einfach als Herausforderung gesehen und wurde damals auch sehr von meinem Chef dazu ermuntert. Und so bin ich da reingewachsen, muss man sagen.

Was bedeutet „kindgerecht behandeln“? Wie sind die Unterschiede zu Erwachsenen? Und was sind die Herausforderungen?
Es ist in vielen Bereichen ein riesiger Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen, so auch in der medizinischen Versorgung. Zunächst einmal heißt „kindgerecht behandeln“, dass man immer nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern, die Angehörigen mitbehandelt oder mit im Boot hat und dass man Kindern wirklich eine kindgerechte Umgebung bietet.
Also nicht nur, dass ich zum Beispiel um die Besonderheiten des kindlichen Organismus weiß, sondern dass Kinderkrankenschwestern zum Beispiel da sind, die speziell geschult sind, Kindertherapeuten, eine kindgerechte Umgebung, in der sich das Kind sofort wohlfühlt und keine Angst hat.
Das gehört alles zur kindgerechten Behandlung und es gibt tatsächlich spezielle Formen der Therapie, die sich an dem wachsenden Organismus orientieren. Weil Kinder permanent wachsen und sich verändern. Ich muss also ständig daran denken, wie der Körper in zwei Jahren sein wird. Oder auch in zehn Jahren. Wie werden die Veränderungen sein?

Wo liegen die medizinischen Unterschiede?
Die Unterschiede beginnen damit, dass die Kinder primär erstmal vor allem Angst haben, dass man also ganz viele Untersuchungen, aber vor allen Dingen Therapien mit starken Schmerzmitteln oder in Narkose machen muss. Der Erwachsene weiß, wann er mal die Zähne zusammenbeißen muss – und dann sagt man, wir machen jetzt das und das, und dann ist es vorbei. Das verstehen Kinder nicht, die haben Angst. Das heißt, man muss ganz andere Behandlungskonzepte für das Kind vorhalten.
Aber natürlich geht es weiter mit Medikamenten, die für Kinder kindgerecht auf ihren Organismus abgestimmt sein müssen. Auch in der Dosierung natürlich.

Interessant ist auch, dass es Zentren für schwerbrandverletzte Kinder und spezialisierte Kliniken für brandverletzte Kinder gibt. Können Sie da etwas zu den Unterschieden sagen?
Die Zentren gibt es schon ganz lange. Da ist genau definiert, was sie behandeln. Die Zentren haben auch die Möglichkeit, mit den Krankenkassen zum Beispiel besondere Tagessätze zu vereinbaren, weil die Behandlung von ganz schwer Brandverletzten eben extrem teuer ist.
Die spezialisierten Kliniken für brandverletzte Kinder haben wir 2015 in der ersten offiziellen Leitlinie formuliert. Das sind Kliniken, die eine gewisse Mindestanzahl an brandverletzten Kindern pro Jahr behandeln. Das bedeutet, dass das Team sich eine Expertise erarbeitet hat und nicht nur eine Mindestzahl. Und es muss auch eine bestimmte Versorgungsstruktur vorgehalten werden, also eine bestimmte Ausbildungsqualität. Es muss also eine kindgerechte Medizin vorgehalten werden, Kinder-, Intensivmediziner, Sozialarbeiter usw. – und die behandeln die Kinder, die eben nicht so schwer verbrannt sind, sodass sie in ein Zentrum für schwer Brandverletzte gehören, sondern die spezialisierten Kliniken sollen eigentlich nach unserer Vorstellung den größten Teil aller anderen brandverletzten Kinder behandeln, damit auch sie die bestmögliche Versorgung erhalten.
Zum Beispiel bei „nur“ einer kleinen Fläche, etwa einer verbrannten Handfläche, muss das natürlich kindgerecht und zeitgerecht behandelt werden, damit die wesentlichen Forderungen – nämlich schmerzfrei, angstfrei, kurzer Krankenhausaufenthalt und wiederhergestellte Funktionen – dann auch erfüllt sind. Und das gelingt am ehesten in einem Krankenhaus, was eine gewisse Expertise vorhält. Das sind diese spezialisierten Kliniken für brandverletzte Kinder.

Wie müssen denn die Unterschiede sein, dass ein Kind in ein Zentrum für schwerbrandverletzte Kinder kommt oder vielleicht dann eben doch nicht unbedingt. Also, wann sollte ein Kind unbedingt in ein Zentrum für schwer Brandverletzte gebracht werden?
Das ist ganz klar definiert in der Leitlinie, die im Übrigen gerade auch neu aufgelegt wird, wenn es mehr als 10 % der gesamten Körperoberfläche zweitgradige, also oberflächliche Verbrennungen hat. Da geht es nicht nur um die Verbrennungswunde, sondern da geht es um die sogenannte Verbrennungskrankheit. Der ganze Organismus reagiert mit und braucht deswegen eine spezialisierte Intensivmedizin, auch wenn es mehr als 5 % drittgradige Verbrennungen hat.
Drittgradig bedeutet, dass die gesamte Haut komplett nekrotisch, also abgestorben ist bis auf die Unterhaut. Und wenn bestimmte Lokalisationen betroffen sind, also Hände, Füße, Genitalbereich, auch große Gelenke, das Gesicht, also die Regionen, wo man wirklich Spezialwissen anwenden muss, um die gut zu behandeln.
Auch schwere Elektroverbrennungen oder auch Inhalationstrauma. Wenn heiße Hitze eingeatmet wurde oder auch heiße Dämpfe eingeatmet wurden, dann brauchen diese Kinder die Versorgung in einem spezialisierten Zentrum.

Wie wird in einem akuten Fall von Verbrennung oder Verbrühung sichergestellt, dass die Kinder nach dem Unfall in die richtige Klinik kommen? Wer entscheidet das?
Das entscheidet der Notarzt. Es gibt ja auch regelmäßige Fortbildungen, Schulungen für die Notärzte. Als damals die Leitlinie rauskam, haben wir gemerkt, dass wir deutlich mehr Kinder in unser Zentrum bekommen haben. Alle Notärzte aus unserer Region kennen ja unser Zentrum, kennen die anderen Kliniken und können das recht gut differenzieren, wo die Kinder hinkommen. Es gibt natürlich auch Fälle, da kommt das Kind erstmal zur Erstversorgung in das nächstgelegene Krankenhaus. Dann werden wir angerufen und dann wird das Kind verlegt. Auch das ist natürlich möglich.

Gibt es besondere Fälle, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind? Es können vielleicht auch schöne Erlebnisse sein, wo ein Kind schnell wieder gesund geworden ist und sich dann vielleicht irgendwie bedankt hat für die Behandlung.
Es gibt tatsächlich etliche Kinder oder Familien, an die ich immer mal wieder denke. Und ich muss sagen, es sind eigentlich durchgehend positive Erinnerungen. Sei es, weil diese Kinder, wenn sie Jugendliche oder Erwachsene werden, immer mal wieder vorbeischauen – das ist natürlich die größte Belohnung für uns, für unser ganzes Team, wenn sie sich immer noch reintrauen in unser Krankenhaus, obwohl sie eigentlich erwachsen sind. Wir freuen uns dann immer irre.

Als behandelnder Arzt, als behandelnde Ärztin muss man sich wahrscheinlich auch hin und wieder schützen, dass man nicht alle Schicksale mit nach Hause nimmt. Denn Sie haben jetzt positive Sachen genannt, aber die negativen gibt es ja auch. Wie machen Sie das, dass Sie das nicht zu nah an sich ranlassen?
Das hat wohl etwas mit meinem eigenen Naturell zu tun. Ich glaube, dass ich eine relativ große Resilienz habe. Ich nehme oft Fälle mit, denke aber eigentlich immer als Aufgabe oder als Herausforderung darüber nach. Ich kann mich tatsächlich in all den Jahren nicht daran erinnern, dass ich mal deprimiert oder verzweifelt war. Ich habe auch viel Ausgleich im Privaten, so dass ich das nicht so an mich heranlasse, dass ich da selbst drunter leiden würde.

Was wäre Ihr Rat für Eltern, wenn doch einmal ein Unfall passiert, wenn sich ein Kind verbrennt oder verbrüht? Wie geht man da am besten vor?
Die häufigsten Verbrennungen im Kindesalter sind Verbrühungen, über 80 % überschütten sich mit heißen Flüssigkeiten. Da ist die allerwichtigste erste Maßnahme wirklich, dass die heiße Kleidung ausgezogen wird. Die Kleidung ist mit dieser Hitze getränkt und je länger das auf der Haut bleibt, desto tiefer wird der Verbrennungsschaden. Dann direkt den Notarzt anrufen. Also nicht warten. Trösten, vielleicht ein Zäpfchen geben, aber der Notarzt ist dann eine der wichtigsten Personen, weil der- oder diejenige kann sofort ein Schmerzmittel geben, denn eine der schlimmsten Erfahrungen sind die Schmerzen bei einer Verbrennung. Das sind die schmerzhaftesten Verletzungen überhaupt. Dann ganz wichtig: Das berühmte Kühlen, was man noch so im Hinterkopf hat, ist kontraproduktiv bei Kindern! Das schadet sogar, insbesondere bei Kleinkindern, die unterkühlen sehr schnell und das verschlimmert letztendlich den gesamten Schaden an der Haut und auch am Organismus. Das Kind also möglichst warm einpacken, eine warme Decke und eben nicht in die Badewanne setzen oder mit Eis verpacken – das kann man mal machen, wenn man einen kleinen Finger oder eine kleine Stelle verbrannt hat. Machen wir ja reflektorisch auch, weil es in dem Moment die Schmerzen nimmt, wo man kühlt. Aber sobald die Kühlung beendet ist, sind die ja auch wieder da. Das wäre mein wichtigster Rat: Kleidung ausziehen, Notarzt anrufen.

Ein anderes Thema ist der Arbeitskreis „Das schwerbrandverletzte Kind“, verankert in der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin – dieser Arbeitskreis vergibt das Gütesiegel „Sicherheit und Qualität für brandverletzte Kinder“. Was hat es damit auf sich und was bringt mir das als Elternteil, wenn mein Kind betroffen ist?
Wir haben dieses Gütesiegel eingeführt, um bestimmte Kliniken auszuzeichnen, die tatsächlich sehr stark unsere hohen Anforderungen an Struktur und Qualität erfüllen und die wirklich diese Mindestzahlen und das spezialisierte Personal auch durchgehend haben.
Der Hintergedanke war auch, dass man einen Zentralisierungseffekt hat, dass eben auch periphere Kliniken, die nur ganz selten mal ein brandverletztes Kind behandeln, dazu gebracht werden, diese Kinder weiterzuleiten. An Kinderkliniken, die so ein Gütesiegel haben und damit den Eltern die Gewissheit zu geben, dass ihr Kind dort in allerbesten Händen ist. Genauso können sich die Eltern, aber auch niedergelassene Ärzte entweder bei Paulinchen oder über www.verbrennungsmedizin.de informieren: Welche Kliniken in meiner Umgebung haben dieses Gütesiegel? Möchte ich vielleicht mein Kind aus einer anderen Klinik dahin verlegen lassen? Nehmen wir mal an, man hat, sagen wir mal, das Glück, dass man in der Nähe vielleicht drei Krankenhäuser hat. Und es kann schon sein, dass nicht alle drei dieses Gütesiegel haben. Deshalb sollte man in dem Fall wirklich gucken, welches Krankenhaus es hat.

Dann kann man sagen: Die, die Chancen für eine bessere Behandlung bieten, sind dann auch einfach besser?
Ja, es gibt tatsächlich viele, viele Kliniken, die dieses Gütesiegel nicht haben, aber eben örtlich oft nah beieinander liegen. Und dann gibt es die eine, die das Gütesiegel hat – und dann kann man sich ja dafür entscheiden, so dass dort die Wahrscheinlichkeit für eine bessere Versorgung einfach größer ist. Ganz genau.

Wie sind Sie eigentlich zu Paulinchen gekommen? Und warum sollten noch mehr Leute den Verein kennen?
Vom ersten Tag des Existierens von Paulinchen hatte ich Berührungspunkte. Das hängt damit zusammen, dass wir tatsächlich ein Kind eines Gründungsmitglieds behandelt haben. Paulinchen hat uns seitdem in unserer Klinik mit ihren Aktionen, ihrem Infomaterial und ihrem Engagement begleitet, und das eigentlich täglich, muss man sagen. Seitdem der Verein gegründet wurde, war das ein ganz, ganz wichtiger Bestandteil. Tagtäglich verwenden wir das Informationsmaterial für die Eltern, für die Kinder, mit der Telefonnummer, wenn wir nicht weiterwussten oder keine Zeit hatten für die Eltern oder auch für die Zeit nach der Entlassung. Paulinchen ist sozusagen eine Art Behandlungspartner, ich glaube in allen Zentren für brandverletzte Kinder und allen spezialisierten Kliniken, da kommt man gar nicht dran vorbei. Was auch wirklich besonders ist bei kindlichen Verbrennungen, sind die Eltern, die meistens große Schuldgefühle haben. Wir behandeln ja auch andere Verletzungen, Unfallfolgen usw., da ist es dann einfach schicksalhaft. Bei Verbrühungen ist ja tatsächlich oft der Mechanismus so: Die Mutter oder der Vater steht daneben, dreht sich kurz um und dann ergießt sich der Wasserkocher über das Kind, und dann heißt es schnell, das Elternteil hat nicht aufgepasst und es fühlt sich schuldig. Mit diesen Schuldgefühlen umzugehen und auch in der Klinik den Eltern trotzdem das Gefühl zu geben, dass es ein Unfall war und sie nicht schuld sind, das ist oft sehr, sehr schwierig. Und da hilft uns Paulinchen auch sehr mit ihren Telefonaten. Ich sage dann immer: Da sitzen Leute am Telefon, die wissen genau, wovon sie reden! Da ist Paulinchen extrem segensreich und hilfreich, weil man da eben auf Augenhöhe mit jemandem telefoniert, der oder die genau dasselbe durchgemacht hat oder genau weiß, wovon die Mutter redet, wenn sie von diesem Unfall spricht.

Vielen Dank, Frau Dr. Sinnig, für das Interview und für die spannenden Eindrücke. Ihnen weiterhin viel Erfolg und alles Gute.

 

An dieser Stelle weisen wir noch einmal auf die kostenfreie Paulinchen-Beratungshotline hin: Jeden Tag von 8 bis 20 Uhr können Sie anrufen unter 0800 0 112 123. Wenn Sie Dr. Sinnig im Audio-Interview erleben möchten, können Sie hier das Gespräch hier und auf allen Streamingplattformen nachhören – in unserem Paulinchen-Podcast.

Zur interaktiven Karte zu Zentren für schwerbrandverletzte Kinder und spezialisierten Kliniken für brandverletzte Kinder, die mit dem Gütesiegel „Sicherheit und Qualität für brandverletzte Kinder“ ausgezeichnet sind.

Weiterführende Informationen zum Gütesiegel „Sicherheit und Qualität für brandverletzte Kinder“ der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin.