Transkript: Erste Hilfe
Veröffentlichung der Folge: Dezember 2022
Erste Hilfe bei Verbrühungen und Verbrennungen ist ein wichtiges Thema – und doch wissen viele Menschen nicht, was im Falle eines Unfalls zu tun ist. Besonders bei Kindern ist die richtige Ersthilfe für den weiteren Behandlungsverlauf entscheidend. Wir geben Tipps und Antworten für den richtigen Umgang mit verschiedenen Unfallsituationen.
Wie wird bei einer Verbrennung oder Verbrühung gekühlt? Was tun mit der Kleidung bei betroffenen Kindern? Wann wird der Notruf gewählt und was sollte auf jeden Fall nicht getan werden?
Diese und andere Fragen beantworten zwei erfahrene Feuerwehrleute und ein Chefarzt. Den Anfang macht Tim Spiesberger von der Feuerwehr Hamburg.
„Ganz wichtig ist, dass Sie bitte nichts auf die Brandwunde raufmachen. Man kennt das immer von Omas Empfehlung auf Brandwunden: Mehl raufpacken oder eine Brandsalbe – aber ist das Schlimmste, was man machen kann. Ich habe in Einsätzen von Honig über Zahnpasta schon die wildesten Sachen gesehen, die man aus der familiären Tradition mitbekommen hat. Davon raten wir tunlichst ab. Lauwarmes fließendes Wasser aus dem Wasserhahn ist das einzige Mittel der Wahl. Diese Kühlung nimmt den Schmerz und die Wärme raus. Das ist sehr erleichternd für das Kind.“
Bei kleineren Verletzungen und auch generell: „Danach einfach zusehen, dass die Brandwunde nicht kontaminiert wird, also nicht mit Dreck in Verbindung kommt. Nicht da reinfassen. Und eingebrannte Klamotten bitte drinnen lassen. Nicht versuchen, den Stoff rauszureißen, sondern schnellstmöglich den Rettungsdienst anrufen.“
Und wann sollte man den Rettungsdienst rufen? Auf diese Frage geht Michael Weiner von der Berufsfeuerwehr Mannheim näher ein.
„Genau dann, wenn ein Elternteil oder die Eltern mit der Situation überfordert sind und nicht wissen, ob sie einen Rettungswagen brauchen. Genau dann macht es Sinn, den Notruf, die 112 anzurufen. Dort sitzen nämlich die Fachleute, deren Job es ist, Menschen in Extremsituationen zu helfen. Man schildert dann meistens dem Kollegen zunächst, was genau passiert ist, und vergisst vielleicht auch einige Informationen, die relevant sind. Aber die Kollegen in der Rettungsleitstelle werden die entsprechenden Informationen, die sie brauchen, abfragen und den Eltern erklären, was sie machen sollen, damit das Kind optimal versorgt wird.“
Im Zweifelsfall werde dann eben auch ein Rettungswagen oder ein Notarzt geschickt. „Das ist mir ein großes Anliegen, dass Menschen keine Angst zu haben brauchen, die Polizei über 110 oder den Rettungsdienst über 112 anzurufen. Da sitzen Menschen, die genau dafür da sind, den Notruf anzunehmen und den Eltern oder den Menschen dort draußen, die Hilfe benötigen, einfach zu helfen. Das ist mir sehr wichtig.“
Dr. Kay Großer ist Chefarzt der Klinik für Kinderchirurgie und des Zentrums für schwer brandverletzte Kinder am Klinikum Kassel. Gibt es Zeitpunkte im Jahr, wo Sie besonders Angst davor haben, dass Kinder sich verbrennen oder verbrühen?
Immer dann, wenn Familientradition wichtig ist, zum Beispiel zu Weihnachten und Silvester oder auch beim Grillen. Dann erleben wir oft brennende Kerzen, mehr offenes Feuer, damit aber auch Verletzungen und vielleicht sogar Wohnungsbrände.
Ob gefährlicher Umgang mit Kerzen beim Backen oder eben zu Silvester so manche Fahrlässigkeit: Wenn es nun doch passiert, was ist an Erster Hilfe zu tun?
Die alte Geschichte, dass man ganz, ganz extrem lange kühlen sollte, wie das früher immer erzählt wurde: Da hat sich in Studien herausgestellt, dass das nicht produktiv ist. Besonders bei Kindern, ganz besonders bei kleineren Kindern und gerade bei größeren Flächen, die da betroffen sind.
Dann heißt es: Nicht mit eiskaltem Wasser oder mit Kühlpacks kühlen, sondern mit handwarmem Wasser, also normalem Leitungswasser aus dem Wasserhahn. Das ist immer noch kühl genug, dass der Effekt der Schmerzstillung und Schmerzverminderung eintritt. 5 bis 10 Minuten reichen völlig aus.
Sonst kann eine deutliche und manchmal auch massive Unterkühlung entstehen, bis die Schwerverletzten in der Notaufnahme im Schockraum ankommen. Wir wissen inzwischen auch, dass die Endergebnisse von diesen Verletzten deutlich schlechter sind. Bei großen Verletzungen ist sogar die Mortalität, also die Sterberate, dadurch größer, wenn man zu viel gekühlt hat in der Notfall- und in der Transportsituation.
Und über das Kühlen hinaus: Worauf sollte man achten?
Man muss eben dieser Entwicklung, dass das Kind auskühlt, entgegenwirken und es einkuscheln und ihm Wärme zuführen. Zum Beispiel in Thermofolie einwickeln, damit es auf dem Weg bis in die Klinik nicht weiterhin an Temperatur verliert. Zusätzlich sollte man was gegen die Schmerzen geben, z.B. Nurofen-Saft.
Wichtig ist auch, die betroffenen Flächen steril oder nahezu steril und sauber abzudecken. Da gibt es so alte Tricks, die schon noch Bedeutung haben wie ein wirklich mit dem Bügeleisen geglättetes frisches Taschentuch, zumindest wenn man kein Verbandsmaterial hat – einmal damit keine Verschmutzungen draufkommen, und auf der anderen Seite wird über diese Einhüllung ein weiterer Wärmeverlust eingeschränkt.
Gibt es Anzeichen, um zu entscheiden, ob man überhaupt einen Krankenwagen rufen sollte?
Wenn die Verbrennung größer ist, dann reicht in der Regel kein normales Krankenhaus mehr, sondern es sollte besser ein kleines städtisches oder Kreiskrankenhaus sein. Bei Verletzungen, die höhergradig sind, dann muss ein schwerverletztes Kind auch leitliniengerecht in eine spezialisierte Klinik oder in ein Zentrum für schwer brandverletzte Kinder gebracht werden.
Auch wenn Strom mit im Spiel war, dann sind diese Schäden gleich einer spezialisierten Klinik vorzustellen.
Und dann gibt es natürlich auch noch die Kombination mit anderen Verletzungen, z.B. Rückenverletzungen, dass gleichzeitig eine Fraktur zum Beispiel dabei ist, wenn das Ganze bei einem Autounfall passiert ist, dass man sich jemand ein Bein gebrochen und gleichzeitig noch irgendwie eine Verbrennung erlitten hat. Solche Fälle werden in ein Zentrum gebracht und dort entsprechend versorgt.
Wonach gehe ich denn, um irgendwie einzuschätzen, wie viel Prozent der Hautoberfläche eines Kindes betroffen sind?
Dafür gibt es die Hand-Regel. Eine Hand des Kindes entspricht 1 % der Körperoberfläche, dann muss man sich sozusagen fünf Handflächen nebeneinander vorstellen, um auf 5 % zu kommen. Ab dann sollte ein Kind in eine spezialisierte Klinik.
Die Fläche wird aber in der akuten Situation auch von Profis oft überschätzt. Auch was die Tiefe der Verbrennung oder Verbrühung betrifft. Selbst nach dem Kühlen kann die Zusatzenergie in der Haut bleiben und die Tiefe noch vergrößern, so dass die eigentliche Schwere in der Tiefe der Verbrennung oder Verbrühung erst Stunden oder manchmal auch Tage später vollständig erkennbar wird.
Wie erkennt man den Unterschied zwischen den verschiedenen Verbrennungsgraden?
Das erste Grad ist wie Sonnenbrand. Alles gerötet.
Eine Verbrennung zweiten Grades liegt vor, wenn Blasen da sind – wobei das zweite Grad auch noch in oberflächlich zweitgradig und tief zweitgradig unterschieden wird.
Der Übergang in drittgradig ist bei diesen „tiefen zwei Grad“ fließend. Solche Übergänge können selbst Profis nicht immer sofort erkennen. Da muss man ein bisschen warten und schauen, wie sich das entwickelt.
Wenn die Stelle richtig kaputt ist durch eine Verbrühung, sieht man eine weiße Fläche. Und die tut auch nicht mehr weh, weil sie ja abgestorben ist. Vorher allerdings hat das richtig wehgetan. Wenn es dann aber nicht mehr weh tut an den Stellen und wenn man da dann zwicken würde, weiß man, dass es sehr tief ist und dass damit auch die Nervenenden mit betroffen sind.
Bei einer Verbrennung kommt zusätzlich natürlich noch die Verkohlung der Oberfläche dazu. Da ist das dann eindeutig, manche bezeichnen es auch als viertgradig.
Ist eigentlich das Alter des Kindes für die Erste Hilfe relevant?
Ja, das ist relevant, weil sich die Verhältnisse zwischen Körperoberfläche zum eigentlichen Körpervolumen grundsätzlich bei den Kleinkindern anders verhält als bei Erwachsenen. Je größer die Kinder werden, desto mehr nähern sie sich dem Erwachsenen an und deshalb werden die Auskühlungsprozesse weniger schlimm. Das heißt, je jünger ein Kind ist, desto größer wird die Auskühlungsgefahr.
Sehen Sie insgesamt Verbesserungen in der Gesamtentwicklung dieser Verletzungen in der Bevölkerung?
Die Anzahl der Gesamtverletzten hat nicht groß abgenommen, obwohl wir ganz viele Präventionsmaßnahmen machen, egal ob Paulinchen e.V. oder andere Organisationen. Aber dadurch sind die schweren Verletzungen deutlich weniger geworden!
Wir hatten vor 10 bis 12 Jahren noch immer jedes Jahr zwischen 10 und 15 schwer brandverletzte Kinder in Deutschland. Die Verbrennungen und Verbrühungen betrafen über 50 % der Körperoberfläche, und leider überleben nicht alle Kinder solche schlimmen Verletzungen.
Das ist also wirklich eine große, große Herausforderung, das zu managen und zu behandeln. Aber durch viele Vorsorgemaßnahmen ist es inzwischen so, dass es aktuell „nur noch“ drei oder vier betroffene Kinder pro Jahr sind.
Danke für das Interview!
Wichtige Verhaltensregeln im Falle einer Verbrennung oder Verbrühung
- Erst einmal ganz wichtig: Ruhe bewahren und dann den Notruf 112 alarmieren. Ja. rufen Sie immer den Rettungsdienst, wenn sich Ihr Kind schwer verletzt hat.
- Bei kleineren Verletzungen: Gehen Sie zu Ihrem Kinderarzt oder Ihrer Kinderärztin.
- Brennt ein Feuer noch, dann die Flammen durch wälzen am Boden ersticken, ebenso mit einer Decke oder mit Wasser löschen.
- Bei einer Verbrennung die eingebrannte Kleidung nicht entfernen. Das wird in der Klinik fachgerecht gemacht.
- Achtung bei Verbrühungen: Die durchnässte Kleidung sofort ausziehen, auch die Windel, damit die Hitze nicht lange einwirken kann.
- Bei Stromunfällen sofort den Stromkreis abschalten. Achten Sie auf Eigensicherung, damit Sie keinen Stromschlag abbekommen.
- Kleinere Verbrennungswunden zur Schmerzlinderung etwa zehn Minuten mit handwarmem Wasser kühlen, circa 20 Grad, bis der Rettungsdienst eintrifft.
- Wegen Unterkühlungsgefahr nur die verletzten Stellen kühlen. Niemals das ganze Kind kalt abduschen.
- Nicht kühlen bei großflächigen Verletzungen, generell nicht bei neugeborenen Säuglingen und bewusstlosen Personen am Körperstamm und am Kopf.
- Und wie oben von Feuerwehrmann Tim Spiesberger gesag: Niemals Hausmittel wie Mehl, Zahnpasta oder Öl auf Brandwunden geben.
Zur Sicherheit möchten wir noch darauf hinweisen, dass diese Informationen keine professionelle Beratung von Fachpersonen ersetzen und dass bei allen individuellen Fragen immer die zuständige sachkundige Person zu konsultieren ist.
Gerne vermitteln wir für Sie bei Bedarf diese spezialisierten Kontakte. Sprechen Sie uns an!
Zusätzliche Informationen
Wer die Feuerwehrleute und den Arzt im Audio-Interview erleben möchte, der kann das Gespräch hier oder auf allen Streamingplattformen nachhören – in unserem Paulinchen-Podcast.
Interaktive Deutschlandkarte mit Städten, in denen es mit einem Gütesiegel ausgezeichnete Zentren für schwer brandverletzte Erwachsene, für Kinder sowie spezialisierte Kliniken für brandverletzte Kinder gibt.
Wie geht es nach der Ersten Hilfe weiter? Hier gibt es Tipps.
Wenn Sie ein brandverletztes Kind haben, Fragen haben oder Trost brauchen, können Sie die kostenfreie Paulinchen-Hotline anrufen: 0800 0112123.