Transkript: Was sind thermische Verletzungen und wie entstehen sie?
Veröffentlichung der Folge: Mai 2023
Thermische Verletzungen sind sehr schmerzhaft und werden oft unterschätzt. Zusammen mit einem erfahrenen Kinderchirurgen erklären wir, was thermische Verletzungen überhaupt sind, welche Unfallursachen ihnen zugrunde liegen und wie die Schwere solcher Verletzungen beurteilt wird.
Unser Experte ist Dr. Carsten Krohn, Leiter des Zentrums für Schwerbrandverletzte Kinder am Klinikum München Schwabing.
Was sind überhaupt thermische Verletzungen?
Der Überbegriff thermische Verletzungen ist das, was man im Volksmund einfach als Verbrennungen kennt. Aber es ist ja nicht immer eine Verbrennung! Wir unterscheiden zum Beispiel zwischen Verbrühungen durch heiße Flüssigkeiten und Verbrennungen durch Feuer. Es gibt aber auch Kontakt-Verbrennungen oder Verbrennungen durch Strom. Die Möglichkeit, sich einen thermischen Schaden zuzufügen, ist leider vielfältig – und es ist auch von vielen Faktoren abhängig, wie tief das Ganze dann ist.
Als Kinderchirurg kann ich aus meinem beruflichen Alltag erzählen – also was kindliche Verbrennungen und Verbrühungen betrifft. Was wir natürlich sehen, sind die kleinen Kinder, die einfach genau dasselbe machen wollen wie Papa und Mama: sich eine Tasse zum Mund führen. Und deswegen greifen sie sich die Tasse in dem Moment, wo Papa und Mama nicht hingucken, und führen sie sich zum Mund, aber wissen gar nicht, dass da eine heiße Flüssigkeit drin ist. Deswegen schütten sie sich das über das Gesicht oder über die Brustwand oder über den Arm oder in den Schoß. Und so kommt es zu einer klassischen Verbrühung.
Das kann auch der Topf vom Herd sein, in dem Nudelwasser ist – dann wird es natürlich schlimmer, weil dann die Menge größer ist. Oder mit der Suppe. Dann wird es schlimmer, weil die Viskosität größer ist.
Wir sehen bei ganz jungen Kindern ganz viele Kontaktverbrennungen. Besonders schlimm ist es bei den Kindern, die mit den Händen an die Kaminöfen greifen, also an die heiße Scheibe des Kaminofens, und die kleinen Kinder können die Hand noch nicht zurückziehen. Die verstehen das gar nicht, dass es die Glasscheibe ist, die heiß ist. Die wissen einfach nur, es ist heiß, und schreien. Dann wird die Verbrennung noch tiefer.
Oder auch Kinder, die neben die Herdplatten gesetzt werden und die dann auf die Herdplatte greifen.
Bei den größeren Kindern sind es Experimente, die mit irgendwelchen Chemiebaukästen durchgeführt werden. Oder einfach durch Anstecken von Deodosen oder sonst irgendwas, was man halt so als Jugendlicher alles macht.
Dann kommen natürlich noch – ganz besonders erwähnenswert – immer die Grillunfälle dazu, wo erwachsene Leute irgendwelche Brandbeschleuniger auf den Grill werfen, die dann auf keinen Fall dort hingehören. Dann gibt es einen riesigen Wumms. Erstaunlicherweise erwischt es immer die Kinder, die drumherum stehen. Und diese Unfälle sind hässlich.
Inwiefern hässlich? Wie kann sich das dann äußern? Bei thermischen Verletzungen gibt es ja verschiedene Abstufungen.
Hässlich war jetzt nicht gemeint im optischen Sinne, sondern dass eine Verbrennung oder Verbrühung extrem schmerzhaft ist – das hängt auch von der Tiefe ab.
Eine erstgradige Verbrennung ist das, was wir alle als Sonnenbrand kennen, eigentlich nicht kennen sollten, weil es nicht gut ist für unsere Haut. Das ist eine oberflächliche Rötung, da gibt es keine Blasenbildung oder so was. Das geht auch von alleine wieder weg.
Die zweitgradige Verbrennung oder Verbrühung unterscheiden die Mediziner offiziell in 2a und 2b. Das müsste man eigentlich sogar noch genauer abstufen bei den zweitgradigen thermischen Schäden. Da löst sich die oberste Hautschicht, die Epidermis ab und dann gibt es auf jeden Fall mal eine Blase. Die Blase kann geschlossen sein, sie kann aufgehen und zerreißen, so dass dann sozusagen die nackte Haut, wie man so gerne sagt, frei liegt.
Dann kommt es wirklich darauf an, wie lange die Substanz eingewirkt hat, wie heiß die Substanz eigentlich war. Selbstverständlich macht ein auf 60 Grad abgekühlter Tee weniger Schaden als ein ganz frisch aufgebrühter Tee.
Und dann kommt es darauf an, wie viel und wie tief die Hautschicht betroffen ist, ob sie noch in der Lage ist, sich von selbst zu regenerieren. Wir sagen bei den 2a-Verbrühungen oder -Verbrennungen, dass sie in 10 bis 14 Tagen von alleine ausheilen und keine Narbe geben.
Bei den 2b-Verbrennungen oder -Verbrühungen ist es ein bisschen schwieriger. Da gibt es welche, die heilen von alleine ab und ohne Narbe. Oder es gibt welche, die heilen von alleine ab, geben aber eine Narbe. Und dann gibt es eben auch 2b-Verletzungen, die gar nicht abheilen – und dann muss der Kinderchirurg ran und muss diese Haut chirurgisch ersetzen, indem er an einer anderen Stelle ganz hauchdünn die Haut abnimmt. Dort wächst sie dann von alleine wieder zu. Er macht sie dann auf die Stellen drauf, die nicht von alleine heilen können.
Und dann haben wir noch die drittgradigen und auch die viertgradigen Verletzungen. Das sind Verletzungen, bei denen die Haut so tief betroffen ist, dass es keine Chance gibt für den Patienten, dass es ohne einen chirurgischen Helfer von alleine heilen kann.
Bei den viertgradigen Verbrennungen – die sind im Kindesalter zum Glück sehr, sehr selten – sind noch tiefer liegende Strukturen betroffen. Das kann zum Beispiel bei 15.000-Volt-Unfällen sein, etwa wenn Jugendliche auf Züge klettern und sich eine Lichtbogenverletzung zuziehen. Wenn sie das überlebt haben, kann es durchaus auch zu Amputationen von Gliedmaßen kommen. Das ist Gott sei Dank selten.
Gibt es etwas außer den Verbrennungsgraden, das auch die Schwere der Verletzung beeinflusst?
Die Verbrennungsgrade sind das, was die Schwere der Verletzung beeinflusst. Es gibt natürlich äußere Faktoren, die die Tiefe der Verbrennung begünstigen. Es ist ein kompletter Unterschied, ob Sie sich mit Wasser oder mit Fett einen thermischen Schaden zuziehen.
Wir reden bei Fett, obwohl es eine Flüssigkeit ist, gar nicht mehr von Verbrühung, sondern von Verbrennung. Es ist die Dauer der Einwirkzeit, die natürlich darauf einen Einfluss hat, wie tief so eine Verbrennung oder Verbrühung wird.
Das heißt, wenn Sie sich eine Erbsensuppe in die Kleidung reinschütten, dann wird es eine tiefe Verbrühung werden. Wenn Ihnen aber Tee aufs Gesicht fällt, dann kann der sofort verdunsten und kühlt sich sozusagen selber. Das heißt also, bei der Verbrühung ist es sozusagen auf der nackten Haut meistens besser als in den Kleidern.
Was ist überhaupt nochmal der Unterschied, vielleicht auch thermisch/biologisch, zwischen Verbrühungen und Verbrennungen?
Die Verbrennung ist meistens ein Geschehen, bei dem eine größere Temperatur dauerhaft auf das Kind einwirkt. Bei einem Kleiderbrand zum Beispiel wird es ja immer heißer und brennt immer weiter, bis das Feuer gelöscht ist. Das dauert einige Zeit.
Wenn Sie Flüssigkeit in die Kleider reinschütten, dann kühlt das zwar zu langsam, aber es kühlt doch immerhin wieder ab.
Eine Verbrennung ist in der Regel viel tiefer als eine Verbrühung. Und das gilt leider auch für die Kontaktverbrennungen, also das Anfassen von heißen Flächen oder zum Beispiel das Reingreifen in eine Kerze. Das ist üblicherweise ein größerer Schaden als die Verbrühung.
Nichtsdestotrotz gibt es auch Verbrühungen, die so tief sind, weil sie mit so heißem Wasser passiert sind oder die Flüssigkeit so lange in der Kleidung bleibt, dass auch die tief sind.
Im ersten Moment könnte man fälschlicherweise denken: Lieber Erbsensuppe in die Kleidung bekommen als heißen Tee ins Gesicht … Haben Sie noch andere Beispiele, wo man sagen kann, da unterschätzen die Leute auch gewisse Gefahren, weil es sich dann doch anders auswirkt, als man es vielleicht landläufig meint?
Die Gefahr durch heiße Substanzen wird landläufig einfach komplett unterschätzt. Wenn ein kleines Kind heißen Kaffee ins Gesicht bekommt, ist das ein echtes Drama. Das dauert einfach zehn Tage, bis es geheilt ist, oder gar länger.
Deswegen gibt es ja den Verein Paulinchen – um die Menschen darauf aufmerksam zu machen, mal darüber nachzudenken. Vielleicht auch mal durch die eigene Wohnung zu gehen und zu schauen: Wo sind denn eigentlich die Gefahren?
Auch zu lernen, dass man ein Kind halt einfach nicht neben den Herd setzt, wenn man am Kochen ist. Denn Kinder greifen nun mal da rein! Ich habe schon Kinder gehabt, die den Kopf ins Nudelwasser gesteckt haben, weil sie einfach ausgerutscht sind.
Einfach zu überlegen: Wo gehören Kinder nicht hin oder wo gehören die heißen Substanzen nicht hin? Und dass man zum Beispiel ein Kind nicht mit einem Kaminfeuer alleine lassen darf.
Kinder haben eine ganz merkwürdige Eigenschaft, die sie irgendwann zu erwachsenen Menschen werden lässt: Sie sind neugierig und wollen alles genau das tun, was Papa und Mama auch tun.
Gibt es schon von Ihrer Seite aus etwas, was Sie umtreibt bei dem Thema, was Sie vielleicht den Hörern noch mitgeben wollen?
Umtreiben tut mich die Tatsache, dass ich dafür da bin, Kinderhaut wieder in die richtige Richtung zum Heilen zu bringen, die aber eigentlich nie hätte verletzt werden müssen.
Klar, man kann in diesem Leben nicht alles kontrollieren. Man kann die Kinder nicht anketten. Aber ein bisschen kann man sich geistig mit dem Thema beschäftigen. Wo stehen eigentlich die heißen Substanzen?
Ein Beispiel: In meiner Wohnung war ein halbes Laufstallgitter um den Herd herum, damit meine Kinder nicht in dem Moment, wo ich gerade zum Kühlschrank gehe, an den Herd drankommen. Wir hatten so ganz alte Gasheizöfen. Und wir haben uns immer die Mühe gegeben, unsere Tassen in der Mitte vom Tisch abzustellen und nicht am Rand vom Tisch, dass die Kinder da nicht drankommen.
Kinder müssen das lernen, man muss es auch mit ihnen üben. Wenn sie dann etwas älter werden, kann man mit ihnen gemeinsam Kerzen anzünden und die Kinder auf die Gefahren hinweisen.
Ein anderer Unfall, den ich wirklich nicht verstehen kann, ist der Inhalationsunfall. Eltern glauben, dass es für ihre Kinder sinnvoll ist, sie über einer heißen Flüssigkeit inhalieren zu lassen. Das ist den Kindern aber zu heiß und meistens kriegen sie noch ein Handtuch über den Kopf gelegt – und dann zucken sie zurück und ziehen sich die ganze heiße Flüssigkeit, die sie eigentlich inhalieren sollen, in den Schoß hinunter. Jeder Zuhörer kann sich vorstellen, dass das mehr als unangenehm ist.
Haben Sie in der ganzen langen Zeit, die Sie das Thema beruflich begleiten, irgendwelche Vorfälle noch im Kopf, wo Sie sagen, das war ganz extrem, das war vielleicht auch sehr bedrückend oder eben vielleicht dann auch von der späteren Heilung her besonders schön?
Also, ich kann darüber berichten, dass bei uns in den letzten 20 Jahren kein einziges Kind gestorben ist. Ich werde Ihnen nicht berichten, wie viel Leid ich schon gesehen habe, weil die Extremfälle möglicherweise den Zuhörer überfordern.
Andererseits ist es tatsächlich so, dass wir auch viele Patientinnen und Patienten wieder so herstellen konnten, dass sie jetzt ein völlig normales und glückliches Leben führen. Das ist mit viel Arbeit, mit viel Schmerz, mit viel Geduld verbunden.
Und wenn Sie nach verrückten Geschichten fragen: Es gibt nichts auf dieser Welt, was es nicht gibt. Ganz spontan fällt mir ein Kindertheater ein, bei dem Böllerschüsse losgehen sollten. Danach durften die Kinder auf die Bühne kommen und sich das Ganze angucken, wie das so auf und hinter der Bühne aussieht. Aber einer dieser Böllerschüsse hatte sich nicht gelöst. Das war so eine Spielzeugkanone. Ein Kind ist hingegangen und hat in diese Kanone hineingeguckt – da war schon eine halbe Stunde vergangen, nachdem diese Kanone eigentlich hätte losgehen sollen. Und genau in dem Moment, wo das Kind reingeguckt hat, hat es Bumm gemacht und das Kind im Gesicht verletzt.
Ich möchte das jetzt nicht überdramatisieren. Das Kind ist folgenlos ausgeheilt, das hat also auch keine Narben im Gesicht. Aber zunächst war das Gesicht großflächig verbrannt. Es ist wirklich verrückt, was alles passieren kann.
Dann bleibt uns nur noch zu sagen: Lassen Sie uns gemeinsam schauen, dass die Zahlen der betroffenen Kinder runtergehen – und wir alle, die wir hier mitlesen, können viel dafür tun.
Zusätzliche Informationen
Das Gespräch mit Dr. Crohn kann hier und auf allen Streamingplattformen in unserem Podcast nachgehört werden.
Download der Broschüre: „Aktion Paulinchen – So schützen Sie Ihr Kind vor Verbrennungen und Verbrühungen“
Weiterführende Informationen zu thermischen Verletzungen gibt es hier.